Rodney Graham

„Getting it together in the country“


15. September — 5. November 2000

In über zwanzig Jahren hat Rodney Graham (geb. 1949 in Vancouver) in einer Fülle unterschiedlicher Medien wie Druckgraphik, Fotografie, Musik, Film und Video dichte Werkkomplexe geschaffen, in denen er sich u.a. mit Mechanismen medialer Repräsentation sowie mit Ereignissen der Geistesgeschichte, der Literatur oder der Musik befaßt. Dabei spielen der Bezug auf filmische Klischees und die Einbindung von Elementen populärer Musik eine immer größere Rolle in seiner Arbeit. Bereits 1987 war Rodney Graham an den Skulptur Projekten in Münster mit einer außergewöhnlichen Arbeit beteiligt. Diese Arbeit bestand aus einer "Neuausgabe" der botanischen Schrift Die Gattung der Cyclamen L. Eine systematische und biologische Monographie (Original 1898), die von Sigmund Freud in der Traumdeutung als Auslöser für seinen "Traum von der botanischen Monographie" genannt wird. Grahams Ausgabe bestand aus einem originalgetreuen Entwurf der Titelseite und einem ansonsten unbedruckten Buch. Das Buch lag während der Skulptur Projekte in verschiedenen Buchhandlungen der Stadt aus. Die Auseinandersetzung mit den Theorien Sigmund Freuds im allgemeinen und mit dessen Traum von der botanischen Monographie im speziellen ziehen sich bis heute durch das Werk von Rodney Graham. Dabei sind es nicht nur inhaltliche Aspekte, sondern auch strukturelle Muster und Formen, die in zukünftigen Arbeiten immer wieder auftreten.

In der Ausstellung im Westfälischen Kunstverein zeigt Rodney Graham seine neue Videoprojektion "Edge of a Wood", die auf zwei frühere Arbeiten - "Illuminated Ravine" von 1979 und "Two Generators" von 1984 - zurückgeht. Auf zwei sich gegenüber stehenden Leinwänden wird synchron die Aufnahme eines Waldrands bei Nacht projiziert wird. Die etwa achtminütige Projektion beginnt in völliger Dunkelheit und Stille bis sich langsam das Geräusch eines Helikopters anbahnt. Der Helikopter kommt immer näher und wirft dabei den grellen Schein eines Suchscheinwerfers auf den Waldrand. Der Scheinwerfer erleuchtet immer wieder andere Teile der Landschaft, so daß kein zusammenhängendes Bild wahrgenommen werden kann. Nach wenigen Augenblicken schweift der Helikopter ab und läßt die Szene in Dunkelheit und Stille zurück. Wie "Illuminated Ravine" und "Two Generators" handelt auch "Edge of a Wood" von einem Konflikt zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Natur und Zivilisation. In allen drei Filmen tritt das zivilisatorische Element in Form einer technisch generierten Beleuchtung auf, die zugleich einen aggressiven Eingriff in eine ansonsten harmonische Landschaft bedeutet. Der Lärm des Helikopters und die fragmenthafte und unstabile Beleuchtung des Waldrands, durch die weder Details noch ein kohärentes Bild wahrgenommen werden können, stellen ein Moment der starken Irritation und der Desorientierung her. Der Betrachter erfährt sich selbst in einer Differenz zur Landschaft, die distanziert und unheimlich erscheint.

"Edge of a Wood" wird als Loop ununterbrochen wiederholt. Die Wiederholung als formales und strukturelles Prinzip spielt im Werk von Rodney Graham eine zentrale Rolle. Sie tritt nicht nur in seinen Filmen sondern auch in anderen Werken immer wieder auf und kann im Kontext des Gesamtwerks durchaus als Anspielung auf den Wiederholungszwang bei Freud verstanden werden, dessen Traumtheorie wiederum der Ausgangspunkt für Grahams erstes Projekt in Münster 1987 war. In "Edge of a Wood" geht die Bedeutung der Wiederholung jedoch über das rein Formale hinaus. Die ständige Rückkehr des Helikopters impliziert ein narratives Element, das dem Geschehen einen zwanghaften, bedrohlichen Unterton verleiht und an filmische Klischees erinnert, die in Grahams Arbeit der letzen Jahren eine immer größere Rolle spielen. So beinhalten auch die Pop-Improvisationen auf Grahams neuer LP "Getting it together in the country", die vom Kunstverein München, dem DAAD Berlin und dem Westfälischen Kunstverein anläßlich der Ausstellungen von Rodney Graham in diesen Institutionen produziert wurde, Anspielungen auf Michelangelo Antonionis Film "Zabriskie Point", in dem wiederum der Zugang zum Unbewußten (in diesem Fall durch den Einsatz von Marihuana und die psychedelische Wirkung von Rock- und Popmusik) ein zentrales Motiv darstellt.

Auch Grahams neue fotografische Arbeit "Fishing on the getty" geht auf einen Klassiker der Filmgeschichte, nämlich Alfred Hitchcocks "To catch a thief" (Über den Dächern von Nizza) von 1955, zurück. Graham selbst imitiert hier Gary Grant in einer Szene des Films, in der dieser von der Polizei verdächtigt wird, an der französischen Riviera eine Reihe von Juwelendiebstählen begangen zu haben, und sich nun mit Hut und Sonnenbrille als Sportfischer verkleidet. Diese Selbtinszenierung Grahams in "Fishing on the getty" ist charakterstisch für jene Arbeiten, in denen sich der Künstler in einer fast absurden Handlung selbst zum Subjekt macht (wie auch auf dem Cover der LP). Graham imitiert Grant als Dieb, der wiederum im Film vorgibt, ein Angler zu sein und etabliert auf diese Weise eine Endlosschleife aus stets scheiternden Versuchen der Identifikation. "Fishing on the getty" basiert jedoch auch auf Grahams kritischer Analyse von Repräsentationsmechanismen in Massenmedien wie Fotografie und Film. Die Ästhetik der Werbefotografie, die zunächst von den lichtgesättigten, detailrealistischen Hochglanzabzügen ausgeht, wird durch die kompositorische Spaltung des Bildes radikal gebrochen. Ähnlich wie bei "Edge of a Wood" wird eine kohärente Lesbarkeit der Bildsprache unmöglich gemacht, und durch das abrupte Ende der Angel wird das Objekt des begehrenden Blicks aus dem Bild hinausgeführt.


Die Ausstellung im Westfälischen Kunstverein und die Publikation wurden von der Stiftung Kunst und Kultur des Landes Nordrhein-Westfalen freundlich unterstützt.

„Getting it together in the country“

Mit der LP „Getting it together in the country“ erscheint eine Publikation, die Abbildungen neuer Arbeiten von Rodney Graham, Lyrics und Werkbeschreibungen des Künstlers, einen Text von Martin Pesch, Kunst- und Musikkritiker aus Frankfurt am Main, über das musikalische Werk von Graham sowie Einführungen von Susanne Gaensheimer und Dirk Snauwaert enthält. Die LP erscheint im Oktagon Verlag und kostet 24,80 DM.

Veranstaltungen

Künstlergespräch
Samstag, 16. September um 14 Uhr

Vortrag zur Ausstellung von und mit Martin Pesch
Donnerstag, 12. Oktober um 19 Uhr

Kuratorenführungen
Samstag, 30. September, 7. Oktober, 21. Oktober, 4. November
jeweils um 14 Uhr