Nowa Huta

Kunst aus polnischer Sicht


14. August — 3. Oktober 2004


 
Für das Projekt NOWA HUTA wurden Kunst- und Kulturschaffende gebeten, in einer von Ihnen gewählten Form auszudrücken, was für Ihre Arbeit in Polen heute wichtig, herausfordernd oder förderlich ist.

Der Titel des Projekts „Nowa Huta“ bezieht sich nur indirekt auf die Stahlhütte und die nach ihr benannte Trabantenstadt vor den Toren Krakaus. Er wird vielmehr wegen folgender Geschichte gewählt: 1992 erhielt Günter Reznicek, ein Toningenieur, der in Hamburg wohnte, ein Paket von seinem inzwischen verstorbenen Onkel, der in Nowa Huta gelebt und gearbeitet hatte. Es enthielt eine kleine Casio-Orgel und einen Brief, in dem der Onkel ihm mitteilte, dass er auf der Orgel die Musik finden würde, die er für die Werksarbeiter komponiert hatte. Mit der leichten und unterhaltsamen Musik wusste Reznicek zunächst nichts anzufangen, begann jedoch auf das Drängen einer Freundin hin, sie in seine eigenen Kompositionen einzubeziehen. Aus ihr entwickelte er eine Art von Avantgarde-Pop, den er Nova Huta nannte und der in der Zwischenzeit als „Datschadelic“ internationale Beachtung erfährt.

Diese Geschichte steht für Transformation und Einbildungskraft, die von historischen Ge-gebenheiten ausgeht und Neues baut; sie steht auch für die Besonderheit einer Kultur, die Einflüsse von allen Seiten erhält und neue Verbindungen eingeht, ohne die Grundlagen aus den Augen zu verlieren. In der heutigen Kunstszene in Polen kann man ein vergleichbares Verhältnis zwischen Tradition und neuer Kunst beobachten – im Bewußtsein der eigenen Kunstgeschichte und bei der hohen Dynamik der jüngsten politischen Entwicklungen gelingt es Künstlern, neue und qualitativ hochwertige Arbeiten zu schaffen. Dies ist vor allem dann bemerkenswert, wenn es in einem Land geschieht, in dem die Infrastruktur der Kunst wenig entwickelt, die politische Lage für zeitgenössische Kunst widrig und es für Kunstinstitutionen problematisch ist, engagierte Programme durchzuführen.

Die Idee des Projekts im Westfälischen Kunstverein ist, die Frage nach der Art und Weise, wie die Kunst dort agieren kann, an polnische Künstler, Kritiker und Kuratoren zurückzugeben und ihre Antworten das Projekt gestalten zu lassen. Sie sind aufgefordert, zu benennen, was für Ihre Arbeit wichtig ist und was in der Zukunft gefragt wäre, um die junge polnische Kunstszene weiter zu fördern. Es besteht die Hoffnung, mehr über den Hintergrund der Kunstproduktion in Polen und ihre alltäglichen Bedingungen zu erfahren.

Veranstaltungen

Eröffnung
Freitag, 13. August um 19 Uhr
Begrüßung: Heiner Diehle

Einführung: Carina Plath

Künstlergespräch
Samstag, 14. August um 14 Uhr

Dritter Donnerstag
Donnerstag, 19. August um 18.30 Uhr
Gespräch zum Projekt mit Carina Plath

Vortragsreihe
„Nowa Huta“ – Kunst aus polnischer Sicht

Donnerstag, 19. August um 20 Uhr
„On Impossible Architecture of Communication“
Adam Budak, Kurator, Kunsthaus Graz

Mittwoch, 15. September um 

20 Uhr
„To Censor Crucifixion. Art and Politics in Poland“
Piotr Piotrowski, Professor für Kunstgeschichte,
 Adam Mickiewicz Universität, Posen

 
Die Vorträge werden in englischer Sprache gehalten.

 

Präsentation
Mittwoch, 22. September, 20 Uhr
RASTER – mehr als eine Galerie in Warschau
Michal Kaczynski, Lukas Gorczyca, Galeristen und
Michal Budny, Künstler
(Präsentation und Gespräch in deutsch)

Seit fast zehn Jahren gibt es RASTER in Warschau. Die beiden Initiatoren, Besitzer und Galeristen Michal Kaczynski (*1974) und Lukas Gorczyca (*1972) begannen mit einem Online Magazin und veranstalteten dann später, ab 2001, in einem Apartment im Zentrum Warschaus Ausstellungen, Lesungen und Aktionen. Künstler wie die Gruppe Azorro, Cezary Bodianowski, Agata Bogacka, Rafal Bujnowski, Michal Budny, Malgorzata Jablonska, Marcin Maciejowski und Wilhelm Sasnal gehören unter anderen zum Programm der jungen Galerie, die etwas anderes und mehr als eine kommerzielle Kunstgalerie sein will. Bei RASTER kann man sich aufhalten, sich unterhalten, Ideen, Wissen und Werke jüngster polnischer Kunst erwerben. RASTER ist so auch ein Statement und eine Lebensform. Michal Kaczynski und Lukas Gorczyca werden ihre Tätigkeit mit Dias und Videos vorstellen. 
Zudem haben sie im Ausstellungsraum des Westfälischen Kunstverein ihr Projekt D.O.M. Polski installiert – eine fotografische Arbeit, die seit 1999 ephemere und improvisierte Architekturen in Polen dokumentiert. 
Michal Budny (*1976 in Leszno), der als Künstler in Warschau lebt und arbeitet, ist durch seine fragilen Papierarbeiten bekannt geworden. Im Kunstverein hat er eine skulpturale Dacharbeit installiert, die die Wandpräsentation von RASTER in den Raum hinein fortsetzt.

 
Präsentation
Mittwoch, 29. September und Donnerstag, 30. September
Jozef Robakowski und Exchange Gallery

Die Galeria Wymiany/Exchange Gallery wurde 1978 von Jozef Robakowski in Lodz gegründet. Robakowski (*1939 in Posen) studierte Kunstgeschichte und Museologie in Torun und später Film in Lodz. Er arbeitete als Lehrer und Filmemacher und begründete mehrere Künstlergruppen mit, die im Bereich der Performance und des Films arbeiteten. Außerdem begann er Dokumente wie Tonbandaufnahmen, Plakate und sonstige Ephemera, sowie Kunstwerke zu sammeln. Der Hintergrund privater Kunstaktivitäten von Künstlern gerade in Zeiten politischer Unruhe gab den Ausschlag für die Exchange Gallery, die an wechselnden privaten Orten sowohl die Kunstsammlung präsentierte als auch Filmvorführungen, Diskussionen und Aktionen veranstaltete. In Lodz konnte sie an die bedeutende, durch das international renommierte Museum Sztuki verankerte Tradition des Künstlerengagements anknüpfen, so an die berühmte Künstlergruppe „a.r.“, begründet von den Avantgarde-Künstlern Wladislaw Strzeminski und Katarzyna Kobro in den 1920er Jahren, und den Kontakt zur internationalen Kunstwelt durch Künstler wie Nam June Paik oder Paul Sharits halten.
Der international bekannte Filmemacher Jozef Robakowski kommt mit zwei Mitstreitern der Exchange Gallery nach Münster, um die Aktivitäten der Galerie durch den Wechsel der Zeiten, von den 1970er Jahren bis heute, anhand von Filmmaterial und mitgebrachten Publikationen und Ephemera zu präsentieren. Eine seltene Gelegenheit, die polnische Avantgarde aus nächster Nähe zu verstehen.



Polnisch mit deutscher Übersetzung.

Donnerstag, 29. September um 19 Uhr
Exchange Gallery Teil I
— Einführung und Eröffnung der Präsentation von Künstler- und Theoriebüchern, größtenteils ‚Samizdat’-Publikationen (Veröffentlichungen in Zeiten von Zensur)
— Film zum polnischen Konstruktivismus (W. Strzeminski, K. Kobro)

— Vortrag zum polnischen, unabhängigen Film

Freitag, 30. September um 19 Uhr
Exchange Gallery Teil II
— Filmvorführung – Construction in Process (1981), über die größte Demonstration künstlerischer Freiheit in Polen vor dem Kriegsrecht

— Film zu den Straßenhappenings der ‚Orange Alternative’ (1989)

— Polnisches found footage und das postmoderne Kulturmodell


Finissage

Sonntag, 3. Oktober um 16 Uhr
Rück- und Ausblick auf das Projekt „Nowa Huta“ von Carina Plath, Direktorin des Westfälischen Kunstvereins
.

Mit Getränken und Gesprächen.