Residence NRW+

Zu Gast im gemeinsamen Projektraum
von LWL-Museum für Kunst und Kultur und Westfälischem Kunstverein

 

Zutritt
über den Westfälischen Kunstverein
Rothenburg 30
48143 Münster

 

Öffnungszeiten: Dienstag–Sonntag: 11–19 Uhr

 

Eintritt: frei

 

„Epilog“

30. April - 14. Mai 2021: Jasmin Werner

18. Mai - 1. Juni 2021: Sarah Buckner

5. Juni - 19. Juni 2021: Sami Schlichting

23. Juni - 8. Aug 2021: Pablo Schlumberger

 

Vom 30. April bis 11. Juli wird der Projektraum vier aufeinanderfolgender Solo-Präsentationen mit Begleitveranstaltungen, in denen die ersten Stipendiat:innen des 2020 gestarten Nachwuchsförderprogramms die materiellen und diskursiven Rahmungen der eigenen Arbeiten befragen. Was nährt eine künstlerische Praxis? Welchen Bedingungen unterlegt sie, welche setzt sie voraus? –  Neue Arbeiten, die von Skulptur und Installation bis hin zu Malerei reichen, und dabei die besondere Schaufenstersituation zwischen LWL-Museum für Kunst und Kultur und dem Westfälischen Kunstverein zu nutzen wissen. 

Kurator:innen 2021:
Marie Sophie Beckmann (* 1989, lebt und arbeitet in Berlin)
Julie Robiolle (*1996, lebt und arbeitet in Genf)

 

 

 

 


 

Pablo Schlumberger „Horror Vacui“

23. Juni - (verlängert bis) 8. August 2021

 

Will man sich der künstlerischen Praxis von Pablo Schlumberger annähern, mag die Vorstellung eines Netzes hilfreich sein – mal eng-, mal grobmaschiger, vielfältig verknüpft, aber immer durchlässig. Denn die Figuren und Situationen, die er entwickelt, fügen sich nie ganz zu einer einheitlichen Geschichte zusammen. So sind sie kaum greifbar und neigen zur Flucht, nur, um dann an anderen Knotenpunkten wieder aufzutauchen. „Horror Vacui“ erforscht Orte des Trinkens [diese eine Eckkneipe oder der Partykeller der Tante] als Bilder und Strukturen, in denen ein ganz bestimmter kultureller Zeitgeist konserviert zu sein scheint. Die Möglichkeit der Vergänglichkeit gerät dabei jedoch selten direkt in den Blick, sondern dient vielmehr als Ausgangspunkt für weitere Erkundungen. Aber was bleibt übrig, wenn es nichts mehr zu tun gibt, außer allein zu trinken? Im Spiel mit Fußnoten und Verdopplungen entwickelt sich die Installation entlang zweier Konzepte, die für Pablo Schlumbergers Praxis besonders relevant sind: das scheinbar Unbedeutende und sein Wert. Einige der hier aufzufindenden Objekte könnten als „second hand“, „vintage“, „DIY“ betitelt werden, andere scheinen einfach nur aus der Zeit geraten. Und doch bieten sie einem – mehr oder weniger diskret – genau jenen Drink an, nach dem man sich gesehnt hat.

Schlumbergers Installationen taumeln innerhalb eines nur vordergründig flüssigen Konzepts: Wasser [oder hier: Alkohol]. In einem solchen Gedankengebäude sind die Gänge leicht verschoben und Zeichen laufen immer Gefahr, abzudriften, zu verrutschen und uns den Rücken zuzukehren. Oft scheitern Objekte und Bilder in ihrer Funktion als Behälter oder Inhalt. Schwankend zwischen ihrer Zeichenhaftigkeit innerhalb des Bildes und größeren Bedeutungszusammenhängen, schleichen sie sich wie kleine Störmomente in Hoch- und popkulturelle Semantiken ein. [Was sollen wir von einem Telefon halten, das in einem Glas Wein schwimmt? Oder von einem Wachsrelief, das die Serie von Malereien inspiriert hat? Es fängt doch nur Staub und wartet darauf zu schmelzen, wenn die Nachmittagssonne durch die offene Tür in die Bar hereinbricht.]

Hier steht selten etwas für sich selbst. Oder anders ausgedrückt: In dieser Ausstellung lassen sich Objekte finden, die als Echo oder Repositorium fungieren. Vielleicht gibt es sogar einige Objekte, die als Referenzen dienen, eben weil sie nicht wirklich wichtig sind. Er schon wieder (II) evoziert beispielsweise das Motivrepertoire eines Carl Spitzweg genauso wie das kommende Ausstellung extravagante und gleichsam vertraute Interieur deutscher Haushalte der Jahrhundertmitte – und verweist somit auf das kulturelle Patchwork der deutschen Nachkriegszeit. Hier geht es um Bilder, so oft verdaut, dass sie ihre Substanz verloren haben [wie dieser angeschipperte Mönch], und somit als anekdotisches Dekor endlos reproduziert werden. Aber hier geht es ausschließlich um das, was auf dem Barhocker neben der Anekdote sitzt – und sich als durchaus ernsthafte Angelegenheit entpuppt.

Nehmen wir die Minibar. Ein dekadentes Behältnis, häufig versteckt in profanen Gegenständen oder als solche getarnt. Das Trinken als Moment, in dem der Sinn verloren geht, während sich die Gewohnheit als Kultur manifestiert. Ein Moment, an dem das Belanglose kristallisiert, zumal die Verdoppelung des Blicks weder Bedeutung noch Wert zu schaffen vermag. Ein Gadget, das die Beherrschung des eigenen Alleinseins fordert. Ein exklusives Erlebnis für diejenigen, die wissen, was sich im Inneren der Uhr verbirgt. 

[Das ist die Sache mit Pablo Schlumberger; alles ist da, aber er wird nie freiwillig die ganze Geschichte erzählen. Wie die von dem, dessen Haus anfing zu brennen, aber sich der Feuerlöscher als Minibar entpuppte. Er nahm stattdessen einen Drink und schaute entgeistert auf die Leere, die langsam an die Stelle seines Hauses trat.] 

 

Julie Robiolle

 

 


Begleitprogramm

„Tutto Domani“ | Freitag, 25. Juni 2021 ab 16:30 Uhr

Fion Pellacini wird die dionysische Installation von Pablo Schlumberger musikalisch zum Leben erwecken.

Fion Pellacini (lebt und arbeitet in Hamburg und Dortmund) ist bildender Künstler und Musiker.Seine Arbeiten waren u.a. zu sehen und zu hören im Kunstverein Harburger Bahnhof, Hamburg und der David Roberts Art Foundation, London etc.


Sami Schlichting „The Walls Have Ears’’

5. Juni - 19. Juni 2021

 

Gleichermaßen elegant und prekär anmutende Figuren und Formen bevölkern den Raum. Ihre skizzenhaften Silhouetten und spitzen Auswüchse werden von verwitterten Sockeln getragen. Wände und Podeste sind ihnen zur Seite gestellt – unklar, ob sie als Kulissen dienen oder selbst schemenhafte Requisiten sind, die womöglich noch auf einen ganz anderen Auftritt warten und nur zufällig hier hineingeraten sind. Kabel schlängeln sich über den Boden, funktionale Neonröhren setzen mit ihrem kalten Licht Akzente, und hervorstechende Kabelbinder werfen gespenstische Schatten an die Wand, die in diesem Szenario selbst von einer Art Geist heimgesucht werden könnte. Die Skulpturen und Wandarbeiten in The Walls Have Ears sind größtenteils Wiederaneignungen früherer Arbeiten des Künstlers. Zerstört, als Sperrmüll entsorgt oder in nicht mehr zugänglichen Orten deponiert, existieren sie nur noch im Bilderarchiv oder als Erinnerungen. Eine solche Remix-Praxis sollte jedoch nicht als bloße Wiederholung verstanden werden, im Sinne einer digitalen Reproduktionslogik, in der Original und Kopie identisch sind. Vielmehr folgen die Wiederaneignungsprozesse einem Zugriff, der die lineare Abfolge der Zeitebenen durcheinanderbringt. Als wäre das bereits Vergangene etwas, das auf seine noch bevorstehenden Entdeckung oder Realisierung wartet, schreibt es sich dort ein, wo Erinnerungen sich mit aktuellen Einflüssen zur Produktion neuer künstlerischer Arbeiten paaren. Aus Alltagsmomenten und jeglichen Arealen der Unterhaltung sammelt Sami Schlichting visuelle Notizen wie schicksalhafte Hinweise in einer Schatzsuche, die zunächst banal erscheinen und sich dennoch im Gedächtnis verankern, oft sogar sensorisch dem Körper in Erinnerung bleiben: Die Bewegung einer Zeichentrickfigur, das Motiv eines Plattencovers, die Form eines Sperrmüllfundes, kleinste Bilddetails aus Nachrichtensendungen, Szenen aus Body-Horror-Filmen wie David Cronenbergs Die Fliege, Ridley Scotts Alien und Katsuhiro Otomos Akira oder eben jene popkulturell oft zitierte Redewendung, die dieser Ausstellung ihren Namen gibt. Derlei Referenzen werden in den Arbeiten von Sami Schlichting so abstrahiert, dass sie höchstens noch vage Assoziationen wecken. Dies mag auch an den verwendeten Materialien liegen: Organisches wie Heu und ungebrannter Ton trifft auf standardisierte, handelsübliche Teile aus Metall, Holz, Draht, Styropor und Kunststoff. Zwischen Zufall und Absicht, Exzess und Reduktion, organisch anmutender Form und Formlosigkeit wankend, machen die Skulpturen an keinem dieser Pole halt. Man könnte sie als Verkörperungen des Unmöglichen begreifen, als Ausgeburten einer Zwischenwelt. Insofern könnte Remix hier auch im Sinne von Mutation verstanden werden und Mutation wiederum als eine fortwährende Möglichkeit der Variation, die immer sowohl das Potenzial von Offenheit und Pluralität als auch eine latente Gefahr birgt – des Monströsen, des Ansteckenden, des Unbekannten, des Formlosen, des Grenzenlosen. Nicht umsonst fungiert die Figur des Aliens als „Allegorie der Apokalypse, die durch das Fehlen einer Grenze zwischen der Welt und dem Jenseitigen, der Ordnung und dem Chaos, der Technik und der Natur, dem menschlichen und nicht-menschlichen Leben verursacht wird.“ (Gaia Giuliani) Und Prinzipien von Ursprung und Autorschaft, Innovation und Originalität werden spätestens dann hinfällig, wenn diese neuen Formen wieder neue Variationen gebären, in einem potenziell endlosen Spiel von Simulation, Wiederholung und Abweichung. Nichts ist jemals neu, nichts ist jemals verloren – es ändert nur die Form, erscheint immer wieder und immer anders.

 

Marie Sophie Beckmann

 

 

Kurzgeschichte

 

Angeregt durch die in Sami Schlichtings Ausstellung prominenten Motive der Wiederholung, Reproduktion und (Trans-)Mutation hat der Autor und Filmwissenschaftler Philipp Röding die Kurzgeschichte Garbage Mom verfasst. Als einzigen Ausweg vor der diffusen Angst vor Verwandlung weist eine Mutter sich in eine Klinik für Sterbehilfe ein. Ihre Tochter glaubt indes, dass die Suizidpläne ihrer Mutter nur aus Rache an ihr geschehen. Neurosen, Wahnvorstellungen und unausweichliche Verbundenheit spielen in der Erzählung eine ebensogroße Rolle wie das ewige, schleifenhafte Festhängen produziert durch Sprache, Gedanken und letztlich auch Verwandtschaft.

 

>> Der Text kann hier als pdf heruntergeladen werden.
Gestaltung: Lena Thomaka

 

Zum Autor: Philipp Röding, *1990 in Stuttgart, 2021 Promotion in Filmwissenschaft, ist Autor von Theaterstücken, Romanen und Erzählungen. Zuletzt erschien im Luftschacht Verlag der Near-Future Roman 20XX.


 

Sarah Buckner „Head over Heels”

18. Mai - 1. Juni 2021

 

Émile Zolas Roman Thérése Raquin beginnt wie folgt: „Am Ende der Rue Guenegaud, von den Kais kommend, befindet sich die Arkade des Pont Neuf, eine Art schmaler, dunkler Korridor, der von der Rue Mazarine zur Rue de Seine führt. Diese Arkade ist höchstens dreißig Schritte lang und zwei in der Breite. Sie ist mit abgenutzten, losen, gelblichen Fliesen gepflastert, die nie frei von beißender Feuchtigkeit sind. Die quadratischen Glasscheiben, die das Dach bilden, sind schwarz vor Schmutz.” 

Mit Thérése Raquin verfeinerte Zola eine neue literarische Gattung, in der das Klima als Ausdruck einer ungezügelten Natur, frei von jeglicher kartesianischer Moral, den Rahmen für die Entwicklung und das Handeln der Figuren bildet. Ausgehend von dieser Genealogie der durch Atmosphären geprägten Charaktere erforscht die zeitgenössische Autorin und experimentelle Musikerin Jenny Hval in Paradise Rot ein ähnliches Motiv. Darin erschafft Hval eine Stimmungslage, die wie ein Klima auf Verhältnismäßigkeiten beruht – ein Klima, das im Roman die menschlichen Beziehungen und ihre Entstehung in der Welt durchdringt, um die Geschichte einer organischen, fungiblen, erotischen Moral zu erzählen, die intim und doch undefiniert ist. 

Wenn ich bislang von Literatur und nicht von Sarahs Malerei gesprochen habe, dann deshalb, weil die in dieser Ausstellung gezeigten Arbeiten parallel zu einer weiteren Serie entstanden sind, die sich bei der Lektüre von, unter anderem, Virginia Woolfs Orlando entwickelt hat. Als die Pandemie in unseren Alltag eindrang, uns von unserer bisherigen Normalität entfernte und ein Vokabular der Kontamination, der unsichtbaren Bedrohung und der Destabilisierung von Intimität mit sich brachte, fand Sarah in Romanen das Material für „L'invitation au voyage”. „Head over Heels” erscheint somit als Formalisierung dessen, was man als Atmosphärenschaffung als narrative Praxis beschreiben könnte, die sie einsetzt, um von einer alltäglichen, verfremdenden Pandemie im Münsteraner Stadtteil Kinderhaus zu erzählen.

In der Tat unterscheiden sich die im Rahmen von „Epilog” gezeigten Bilder von Sarah Buckners bisherigen Werk. In Nuancen von bräunlichem Rot – den Ziegeln der Münsteraner Vorstadt – oder von Grün und Blau – der feuchten Landschaft eines Sommernachmittags – ersetzen die Arbeiten frühere, durch unheimliche Motivkopplungen beschworene Traumphantasien mit dem luftigen Gefühl eines feuchten, alles durchdringenden Klimas. Wie bei Hval schweben auch Sarah Sujets und breiten sich in Resonanz mit den Farben der Landschaften aus, unsicher über die Richtung, die sie einschlagen. In diese vage, un(ge)sicherte Szenerie treten erstmals Skulpturen, als ein Novum im zumeist zweidimensionalen Werk von Sarah Buckner. Dabei wirken sie wie das Archiv des durch Landwirtschaft geprägten Stadtteils Kinderhaus und lassen zugleich an Ex-Voto denken. Die hier aufscheinende Verdinglichung eines Motivs mag nicht zuletzt von einem urmenschlichen Verlangen zeugen – ein Wunsch, der im Ausgeliefertsein von Raum und Zeit geradezu notwendig scheint: Etwas zu greifen, und sich daran festzuhalten, im Kontrast zu den flüchtigen, sich entziehenden und verschwimmenden Farbwelten der Malereien. 

Aber es würde die Sache verfehlen, wenn ich Sarahs Malerei als bloßes Echo der Literatur beschreiben würde. Tritt eine Erzählung doch erst mit den Worten in ihr Leben, scheinen diese in Sarahs Ausstellung nicht nur zu verstummen. Mehr noch bedarf es überhaupt nicht, sie zu sprechen. Denn Worte, meine eingeschlossen, können höchstens an der Oberfläche einer Bedeutung kratzen, die sich organisch mit Hilfe von Feuchtigkeit, leiser Erotik und unmittelbarer Intimität verdichtet hat.

Und dort, wo meine Fingernägel Spuren hinterlassen haben, mag sich ein Spalt auftun, durch den man vielleicht einen flüchtigen Einblick erhält in eine Suche nach einer möglichen Position, einer Identität innerhalb einer affektiven, unruhigen Welt.

 

Julie Robiolle

 

 

 

Jasmin Werner „Unschuldsengel“

30. April - 14. Mai 2021

 

Spot an. Senorita Latifa Sharifah mit Engelsflügeln vor – und in – dem Burj Khalifa in Dubai. Fassaden, Säulen, Stahl, Beton, Glas. Architekturen der Macht, in denen sich die Ideologie nationaler Grandesse, wahlweise auch der Glaube an eine große Idee, sei es Kapitalismus oder Sozialismus, manifestieren. Aussichtsplattformen erlauben den Blick von oben statt von unten, die Stadt wird zum Erlebnis, der Überblick zur Ware. Und hinter den Fensterrahmen: noch mehr Engel der (Un-)Schuld, nur aus anderen Zeiten. Corporate Identities, eine Hand hält die andere. Western Union und Remitly, send money online fast. 

Was wir sehen, sind Smartphone-Bilder, Logos von Geldtransferdiensten und Ausschnitte aus Archivreproduktionen von Malereien des 15. Jahrhunderts aus größeren sakralen Darstellungszusammenhängen, die dem Westfälischen Kunstverein gestiftet und als Dauerleihgabe dem LWL-Museum für Kunst und Kultur übergeben wurden, wo sie in der aktuellen Sammlungspräsentation ausgestellt sind. Eine Art Transfergeschäft zwischen jenen zwei Institutionen, die der Projektraum als Zwischenraum verbindet. Die klagenden, trauernden, betenden Engel sind Bruchstücke aus dem Hochaltar des Benediktinerklosters Liesborn. Als „noch brauchbare Teilstücke“ wurden sie herausgesägt, als der restliche Altar versehentlich beschmutzt wurde, wie es im Bestandskatalog des Museums heißt. Die vier Engelfragmente sind also noch von Wert – nicht zuletzt als Exponate und Anhaltspunkte für eine aufwändige Rekonstruktion des Altars, an der sich diverse Expert*innen, Institutionen und Sammlungen beteiligten.

Auf Bauschutznetze gedruckt und auf Alurahmen fixiert, werden die Engel, Architekturen und Schriftzüge von Jasmin Werner zu Montagen überlagert und auf einer Bildfläche verschaltet.  Zusammen ergeben die von der Decke und an der Wand hängenden bzw. im Raum stehenden, der Fensterfront des Projektraums zugewandten Rahmungen eine Anordnung, die in ihrer provisorischen Materialität ebenfalls an Montage denken lässt: hier wird etwas (wieder) aufgebaut und (re-)konstruiert, hier entsteht etwas. Womöglich nicht von Dauer, aber für den Moment ist es da, als ein Zeichen der Verheißung. Wie Planen auf einem Baustellengerüst, bedruckt mit Bildern einer noch nicht existenten – oder gänzlich imaginierten – Gebäudefassade. 

Auch ohne die jeweilige Geschichte der Bilder im Detail zu kennen, werden die suggerierten Zusammenhänge spürbar. Die Bildmontagen schaffen ein assoziatives Bezugssystem des Transfers und der Zirkulation: Es geht um Austausch und Verschiebung sowohl von Zeichen und deren kulturellem Wert und Bedeutung als auch von Macht und Moral, Schuld und Schulden. Denn die Frage der Schuld ist nie nur eine des Geldes, sondern sogleich eine politische und aufs engste mit – religiös geprägten – Vorstellungen von Moral verwoben. Insbesondere im Mittelalter bringt die Verschmelzung der sich formierenden Weltreligionen und Handelsmärkte eine Logik und Rhetorik der Schuld hervor, an der sich bis heute wenig geändert hat. Sprechen wir in unserem globalen kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem von Abhängigkeit und Freiheit, Vergeben und Sünde, vom Wahren und vom Falschen, läuft es noch immer auf die jahrtausendealte Frage hinaus: Wer ist wem was schuldig?

 

Marie Sophie Beckmann

 

 

 


Begleitprogramm

Schuld und Schulden | Ein Gespräch zwischen Dr. Petra Marx und Prof. Dr. Aloys Prinz 

Auf Einladung der Künstlerin Jasmin Werner sprechen Dr. Petra Marx (Wissenschaftliche Referentin für die Mittelalter-Sammlung des LWL-Museums für Kunst und Kultur) und Prof. Dr. Aloys Prinz (Direktor des Instituts für Finanzwissenschaft an der WWU Münster) über die historische und zeitgenössische Verwobenheit von moralischer Schuld und finanzieller Schulden, die die Künstlerin mit ihren neu produzierten Arbeiten beleuchtet. Das Gespräch wurde in Jasmin Werners Ausstellung „Unschuldsengel” aufgezeichnet.


Residence NRW⁺ ist ein praxisorientiertes Stipendien­programm für den besonders begabten Nachwuchs (Künstler:innen und Kurator:innen) im Bereich der Gegenwartskunst mit Standort Münster. Das Pro­gramm ist angegliedert an die Kunsthalle Münster, einer Einrichtung der Stadt Münster, und wird finanziell unterstützt von dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein­-Westfalen, von der Kunststiftung NRW und von der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia