RADAR: Hafiza Qasimi

„Courage to Live“

28. Oktober 2023 – 28. Januar 2024

Eröffnung

Samstag, 28. Oktober 2023 um 18 Uhr
(parallel zur Eröffnung von Beth Collar im Westfälischen Kunstverein)

AusstellungsortRADAR
Zugang über den Westfälischen Kunstverein, Rothenburg 30,
48143 Münster
ÖffnungszeitenMittwoch-Sonntag von 11-19 Uhr
Eintrittfrei

Mit „Courage to Live“ zeigt die aus Afghanistan stammende Künstlerin Hafiza Qasimi eine Reihe von jüngst entstandenen Bildern in unterschiedlichen Formaten. Besonders augenfällig ist das direkt mit Acrylfarbe auf die Wand gemalte großformatige Werk „Dance for Hope“, welches eine Frau mit wehendem Haar zeigt, die ein Instrument in die Luft hält. Ihr grünes Kleid schwingt und das Tamburin lässt uns aufgrund seiner Netzstruktur an einen Traumfänger denken. Was anderswo als Kultobjekt häufig mit Federn geschmückt wird und die guten Träume durch das Netz gehen lässt, während die schlechten im Netz hängen bleiben sollen, ist hier eher als eine Trommel oder ein Tamburin erkennbar. Es erzeugt Musik und fordert aktiv Aufmerksamkeit. Sowohl der Werktitel, die symbolisch aufgeladenen weißen Tauben als auch der farbenfrohe Kontrast des schwingenden grünen Kleides zur orangeroten Hose entfachen ein Bild der Hoffnung.

Die Kulisse, welche sich Hafiza Qasimi für diesen Tanz ausgesucht hat, ist allerdings ein Schauplatz jahrelanger Zerstörung. Die Buddha-Statue hinter der Tänzerin zeigt eine der Nischen in welcher sich einst die größten stehenden Buddha-Statuen der Welt befanden. Die beiden bedeutendsten dieser Statuen von Bamiyan waren 53 und 35 Meter hoch und sind historische Zeugnisse einer dort etwa vom dritten bis zum zehnten Jahrhundert praktizierten, in ihrer Art einzigartigen graeco-buddhistischen Kunst. Mit der Verdrängung des Buddhismus verloren die Statuen an Bedeutung und wurden zum Ziel von Zerstörungen, da die Darstellung menschlicher Figuren nicht erwünscht war. Zuerst büßten sie ihren Schmuck ein, dann ihre Gesichter und Hände. Am umfangreichsten war der ikonoklastische Akt der Taliban 2001 durch eine vier Tage lang andauernde Sprengung der von der UNESCO als Weltkulturerbe gelisteten Stätte. Damit verwandelte die Taliban auch die mehrheitlich von Hazara bewohnte Gegend – eine ethnische Minderheit in Afghanistan – in ein Symbol des Grauens.

Mittels einer vordergründig scheinbar als naiv wahrnehmbaren Malweise besetzt Hafiza Qasimi diese Statue und deren Heimat mit ihrem Wandbild neu. An dem Ort, an dem die Präsenz von Frauen momentan verboten wird, lässt die Künstlerin eine Frau mit allen Symbolen der Freiheit tanzen und animiert zugleich das einstige internationale Tourismusziel als eine weibliche Figur. Malerisch doppelt sie die langen schwarzen Haare der Tänzerin und zeigt die leere Nische als eine Gestalt, die hervortritt und sich nicht mehr in der Mauervertiefung befindet. Noch hat sie kein Gesicht, ist jedoch übergroß als Teil der Kultur präsent und transportiert das Anliegen der Künstlerin bildnerisch: „Eine Frau in Afghanistan zu sein, ist unter den derzeitigen Umständen eine große Herausforderung. Man muss Hoffnung haben, um zu überleben, und man muss mutig genug sein, um sich all diesen Schwierigkeiten zu stellen. Wir hoffen, dass dieses Unglück eines Tages ein Ende hat und wir alle ein Leben führen können wie andere Menschen. Wir hoffen, dass alle Frauen in unserem Land das Recht auf Bildung, Arbeit und Reisen haben und eines Tages deren Lachen auf den Straßen unserer Stadt wieder zu hören sein wird.“

Hoffnungsvolle Darstellungen von Frauen ohne Schleier mit langen, offenen wehenden Haaren, als tanzende und starke Menschen finden sich auch auf den klein- und mittelformatigen Acrylbildern von Hafiza Qasimi wieder. Ihre geschlossenen Augen zeugen von den Träumen einer anderen Welt. Währenddessen verschließt die Welt selbst ihre Augen mit einer Augenklappe und pustet ein zugleich vielsagendes und nichtssagendes „ZZZ…“ in ihre schwarze Umnachtung.

 

Hafiza Qasimi (*1998 in Wardak, Afghanistan)

Als Hafiza Qasimi mit sieben Jahren nach Kabul kam, war es für sie aufgrund der gesellschaftlichen Umstände in Afghanistan nicht einfach, als Mädchen zur Schule zu gehen und eine Ausbildung zu erhalten. Trotz aller Gefahren, sich in ihrem Land zur Situation der Frauen zu äußern, entschied sie sich Bilder zu malen, die sich genau damit auseinandersetzen.

Nachdem Hafiza Qasimi 2018 zwei Freunde bei einem Selbstmordattentat im Mawud Educational Center verloren hatte, besuchte sie aufgrund der unsicheren Situation die Schule nicht mehr und ihr Vater unterrichtete sie selbst zuhause. Die Familie ging schließlich nach Iran, wo Afghan:innen allerdings häufig Misshandlungen und Beleidigungen ausgesetzt sind, und kehrte erst neun Monate später wieder in ihr Heimatland zurück. Hafiza Qasimi machte weiterhin Kunst, gab Malunterricht und veranstaltete mit Freund:innen 2019 eine erste Ausstellung. In der Folgezeit setzte sie sich mittels Malerei, im Sinne einer sozialen Aktivität, für die Stärkung der Rechte der Frauen in Bamiyan ein und versuchte, Schüler:innen mit Malerei an der Außenwand der Saeed Shuhada-Schule darin zu ermutigen, ihren Weg fortzusetzen. Hafiza brachte sich das Malen autodidaktisch bei, den Lebensunterhalt hatte sie sich mit Aufträgen, Malkursen und im Laden ihres Bruders verdient. Eine Woche nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021, wurden Frauen ihre Grundrechte aberkannt. Nachdem Hafiza Qasimis Kunstraum zerstört und alle ihre Bilder mit Messern aufgeschlitzt worden waren, tauchte sie für einige Monate unter. Damit sie nicht von der Taliban gefunden werden, verbrannte sie ihre Bilder, fotografierte sie jedoch zuvor und schickte wenigstens die Dateien zu ihrem Bruder nach Deutschland. Sie konnte weder studieren noch ihr Zuhause frei und ohne Angst vor den Taliban verlassen: „Es schmerzte mich sehr, in einer Ecke eines Käfigs zu sitzen wie ein gefangener Vogel und von der Zukunft zu träumen.“

Der Kabuler Stadtteil aus dem die Künstlerin kommt, heißt Barchi. Die meisten dort lebenden Menschen gehören zur Gruppe der Harara und sind besonders im Fokus der Taliban. Am 23. Juli 2022, verließ sie ihr Heimatland und floh in den Iran zu ihrer Schwester. Mithilfe ihres Bruders, der bereits in Deutschland lebt, gelang es schließlich nach acht Monaten ein Visum zu bekommen. Eine Crowdfunding Initiative, deren Initiant:innen in Münster leben, sorgte für die notwendige finanzielle Grundlage für ein Leben in Deutschland und die Möglichkeit, Pläne für die Zukunft entwickeln zu können. Fragt man Hafiza Qasimi wie das neue Leben in Deutschland verläuft, antwortet sie, dass sie aus einem Land komme, das sehr hart für Frauen ist: „Ich selbst bin nun glücklich, aber ich mache mir Sorgen um Mädchen und Frauen in meinem Land.“

 

Kuratiert von Marianne Wagner

Foto: LWL/Hanna Neander


Afghanische Teezeit mit Hafiza Qasimi

Samstag, 25.November um 14 Uhr

Im Anschluss an die Präsentation der Jahresgaben 2023 im Westfälischen Kunstverein

 

 

 


Eine Kooperation des LWL-Museums für Kunst und Kultur und des Westfälischen Kunstvereins.

 

Seit 2015 zeigen das LWL-Museum für Kunst und Kultur und der Westfälische Kunstverein in Kooperation aktuelle Positionen jüngerer Künstlerinnen und Künstler. Der Name der Ausstellungsreihe RADAR verweist auf die Beobachtung anregender Kunstproduktionen. Die ausgestellten Werke geben Einblicke in ein aktuelles Arbeits- oder Interessensfeld, ohne die Entwicklung eines Gesamtwerks bereits ins Blickfeld zu rücken. Damit sind das Experimentieren, Scheitern und Erproben wichtige Aspekte des kooperativen Konzepts zwischen dem LWL-Museum für Kunst und Kultur und dem Westfälischen Kunstverein. Der Schaufenster-Raum RADAR vermittelt erstmals räumlich, konzeptuell und inhaltlich zwischen den beiden Institutionen. Während der Laufzeit der Ausstellungen ist RADAR über den Kunstverein begehbar. Der Ausstellungsraum wird somit nicht nur als Schaufenster genutzt, sondern kann sowohl von innen als auch von außen betrachtet werden. Der Eintritt ist frei.